Die unglaubliche Reise
Sie steht auf der Wunschliste jedes Regisseurs ganz oben. Jetzt macht sie Tschechow mit Meryl. Natalie Portman weiß, was sie will und wie sie es bekommt. Was sie will, ist eine anspruchsvolle Karriere und ein Leben jenseits des Sündenpfuhls von Hollywood. Lauren Smith skizziert den Aufstieg der selbstsicheren jungen Schauspielerin.
Es gibt eine Szene in Ted Demmes 1996er Film Beautiful Girls, in der der 29-jährige Willie (bewegend gespielt von Timothy Hutton) mit seinen Gefühlen für ein Mädchen kämpft, das er nicht haben kann. Er sitzt in einer Fischerhütte auf einem gefrorenen See, kippt Hochprozentiges in sich hinein und schüttet seinem plumpen Freund Mo sein Herz aus. "Das Mädchen wird unglaublich", sagt Willie. "Sie ist klug, sie ist witzig, sie ist heiß-" Und dann unterbricht Moe: "Sie ist 13."
Natalie Portman war übrigens 15 als sie diese kleine, verführerische Rolle in Beautiful Girls spielte. Sie stahl jede Szene, in der sie auftrat - stahl den ganzen Film, laut der Los Angeles Times - und überall wurden Kritiker auf das kleine Mädchen mit der großen Persönlichkeit aufmerksam. Es hatte mit ihren Augen zu tun. Ihrer fast schmerzhaften Sinnlichkeit. Die Wahrheit ist, sie hatte in dem Film keine Szene, die wirklich sexy war. Meist hing die von ihr gespielte Figur im Vorgarten rum, flirtete mit Willie auf ihrem Weg zur und von der Schule, schleppte einen riesigen Rucksack herum, als wenn es um ein physikalisches Experiment ginge, und sah dabei so aus, als wenn sie jederzeit hintüber fallen würde. Es machte fast den Eindruck, als würde sie gar nicht schauspielern.
"Irgendwie glaube ich, die Leistungen in meinen frühen Filme werde ich nie mehr erreichen", sagt Natalie, die jetzt 20 ist und in acht Kinofilmen mitgespielt hat, eingeschließlich 1999 in Star Wars: Episode I - Die Dunkle Bedrohung und im letzten Jahr in Wo Dein Herz schlägt. "Ich bin sehr selbstkritisch. Du wirst so viel befangener wenn du älter wirst, und das ist dein ärgster Feind als Schauspieler", sagt sie bewußt. Wir hocken in einem Alkoven mit Fenstern in einem großen Photostudio in Chelsea, wo Natalie gerade die letzten acht Stunden vor der Kamera verbracht hat, ziemlich unbefangen für das Titelbild dieser Zeitschrift posierend. Das zu diesem Zweck getragene Kleid von Prada hat sie gegen ihre eigenen College-Klamotten eingetauscht: schwarze, halblange Hosen und grüne Flip-Flops, eine Jeansjacke mit besetztem Kragen und ein Top, das den Großteil ihres sonnengebräunten Bauchs unbedeckt läßt. Als sie ein Bein unterschlägt wie ein Kind, fällt es leicht sich vorzustellen, daß sie unter all dem lila Lidschatten immer noch aussieht wie 13. "Das bin nicht wirklich ich", sagt sie und berührt schüchtern ihr Gesicht. "Das sind nur die Überreste von heute."
Natalie Portmans Karriere begann in einer Pizzeria in Long Island als sie 11 Jahre alt war. Sie hatte ihre ganze Kindheit singend und tanzend im Keller der Eltern verbracht ("Ich habe Kissen auf dem Boden ausgelegt und den Erwachsenen 10 Cents für's Zugucken abgeknöpft", erinnert sie sich). Als dann ein Talentsucher von Revlon in dem Restaurant auf sie zutrat und fragte, ob sie Interesse hätte zu modeln, gab sie ihm einen Korb - fragte ihn aber, ob er eine Möglichkeit kenne, wie sie zur Schauspielerei käme. Die Unterhaltung führte zu ihrem ersten Vorsprechen, für einen unvergesslichen Luc Besson-Film, genannt The Professional. "Ich hatte keine Ahnung, wie intensiv der Film wirklich sein würde, nach meinem Vorsprechen", sagt sie. "Aber als ich die Rolle bekam, haben sie mir das Drehbuch mit nach Hause gegeben. Ich erinnere mich, daß ich geweint habe, als ich es las. Ich war so aufgeregt."
Natalie spielte in dem dunklen, nervenaufreibenden Thriller den Lehrling eines Auftragskillers. In den ersten zehn Minuten des Film wird die gesamte Familie der von ihr gespielten Figur ermordet. Sie verbringt den Rest des Films damit, den Tod ihres kleinen Bruders zu rächen, mit der Hilfe von Léon, einem von Jean Reno gespielten professionellen Killer. Nicht unbedingt der Stoff für Schauspielanfänger. "Luc war ein unglaublicher Regisseur", sagt sie, "alles was ich über das Schauspielern weiß, weiß ich von ihm. Er hat mir buchstäblich Händchen gehalten, mit mir gesprochen, wenn ich eine Szene gespielt habe. Er hat mich immer an den Punkt gebracht, den ich erreichen mußte."
Der Film war zutiefst sexuell, sehr in Richtung Lolita, und Natalie erinnert sich, daß ihre Eltern nach der Veröffentlichung heftiger Kritik ausgesetzt waren (obwohl im Film kein Sex dargestellt wird - alles spielt sich im Kopf des Zuschauers ab). Ihre gewagte Vorstellung war überzeugend genug, um die Kritiker in ihren Sesseln hin- und herrutschen zu lassen, und sie ließen ihr Unbehagen an ihrer Familie aus. "Das hat meine Mutter und meinen Vater wirklich verletzt. Und es hat mich verletzt", sagt sie, und zieht dabei kurz an ihrem Reißverschluß. "Sie sind die besten, treusorgensten Eltern der Welt. Aber sie lieben genauso sehr die Kunst und sie haben Luc wirklich vertraut."
Seither hat die Familie alles unternommen, um ihre Privatsphäre zu schützen. Portman ist der Geburtsname von Natalies Großmutter, und von Autoren wird erwartet, daß sie den Namen ihrer Heimatstadt auf Long Island oder ihrer Eliteuniversität in Neuengland nicht veröffentlichen. Bis vor kurzem begleitete ihre Mutter sie zu allen Filmaufnahmen. Ironischerweise bekamen ihre Eltern in Hollywood bald den Ruf, überfürsorglich zu sein. "Meine Eltern sorgten sich um mich", sagt Natalie, "und zu allem Überfluß machten sie sich auch noch Sorgen darüber, was alle über uns sagen würden". Hier ist, was wir wissen: Ihr Vater ist ein Fruchtbarkeitsspezialist aus Israel. Ihre Mutter stammt aus Ohio. Natalie studiert im Hauptfach Psychologie. Für eine Weile dachte sie daran, die Schauspielerei hinzuschmeißen und Ärztin zu werden, bis George Lucas an sie herantrat mit dem Angebot der Rolle der Königin Amidala in einem kleinen Trio von Filmen, die die mysteriösen Titel Episode Eins, Zwei und Drei tragen.
Natalie verzichtete auf Hauptrollen in Der Eissturm, Romeo und Julia und Lolita, aus Furcht, zu früh zu viel zu zeigen. Aber weitere Angebote folgten, und sie eroberte ziemlich schnell den Markt für sich, wenn es darum ging, intellektuell frühreife Mädchen darzustellen. In einem Jahrzehnt von Kinofilmen, in denen Teenager und das von ihnen verkörperte Sinnbild ausgebeutet wurde, konnten die Leute nicht genug bekommen von einem Teenager, der frühreif genug war, die Klamotten anzulassen und trotzdem Sexappeal zu verströmen.
Das Studio, in dem wir uns befinden, liegt im zwölften Stock, und die Fenster gehen raus auf die Penn Station, wo von beiden Seiten 20 Bahngleise in das Betongebäude laufen. Wir haben einen perfekten Ausblick. Natalie wirkt sicher, überhaupt nicht schüchtern, aber als ich anspreche, daß sie (und die von ihre gespielten Figuren) ältere Männer anzuziehen scheint, schaut sie aus dem Fenster durchdringend auf die Züge und wirkt leicht entsetzt. "Es ist komisch, ich habe den Eindruck, daß man bei allem was ich tue unterstellt..." Sie beendet ihren Satz nicht. Aber dann lacht sie und sieht mich an. "Manche Leute sind einfach ekelhaft. Zum Beispiel erinnere ich mich an eine Kritik zu Léon - Der Profi, die der Autor begann mit einer Beschreibung meiner..." Sie hebt den Kopf um das Gesagte zu unterstreichen. "Knospenden Brüste! Ich habe nur gedacht, das ist widerlich."
Zwei Nächte vorher hat Natalie mit ihren Freunden ihren 20. Geburtstag im New Yorker Club Suite 16 gefeiert. Die Veranstaltung wurde in den örtlichen Boulevardblättern erwähnt, aber diesmal scheint sie der Eingriff in ihre Privatsphäre nicht so zu stören. "Es ist eine Erleichterung, endlich erwachsen zu sein", sagt das Mädchen, das wie einer schauspielert, seit sie ihre Karriere begann. "Ich glaube, es ist ein Phänomen unter Kinderstars, daß man richtig unreif ist, wenn man erstmal älter geworden ist, weil man als Kind gesagt bekam, man spiele wie ein kleiner Erwachsener, und sich über diesen Zustand hinaus nicht weiterentwickelt hat. Oder man spielt den Intelligenten, ohne weiter daran zu arbeiten, es wirklich zu werden. Ich versuche, das zu vermeiden", lacht sie. "Obwohl ich glaube, daß ich den Kampf möglicherweise verliere." Sie stellt ihr Licht offensichtlich unter den Scheffel. In fast jedem Portrait, das über sie geschrieben wurde (von Vanity Fair bis zur Australischen Vogue) wird über ihre unglaubliche Arbeitsmoral, ihren so gut wie perfekten Notendurchschnitt in der Highschool, ihre unzähligen Überarbeitungen eines Bewerbungsaufsatzes für das College trompetet. Es ist wahr, sie ist brilliant auf eine Schlauberger-Art. (Bei ihren Vorlieben glaube ich, daß sie unsere Unterhaltung lieber über ihren Unikurs über moderne Literatur als über die Schauspielerei führen würde.) Aber schlau zu sein, ist nur ein Teil ihrer Persönlichkeit und bestimmt nicht allein die Art und Weise ihres Handelns. Und wenn sie sich für eine Rolle interessieren würde, zu der eine sinnvolle Sexszene gehört, sagt sie, würde sie es machen. Es würde nicht zwangsläufig zum Problem werden. "Jetzt, da ich älter bin, erkenne ich, daß, wenn man das Leben darstellen will, Sex ein großer Teil des Lebens ist", sagt sie.
Als Natalie 1999 zuhause auszog, um aufs College zu gehen, sagte sie der Presse, daß sie für die Zeit des vierjährigen Studiums nur für die Star Wars-Filme zur Verfügung stehen würde. Aber als ich sie nach ihren Plänen für die kommenden Monate befrage, scheint sie sich nicht festlegen zu wollen. "Ich schaue mir Drehbücher an", gibt sie zu. "Ich werde mir ein Semester freinehmen, aber ich bin noch keine Verpflichtung eingegangen. Wenn ich mich für etwas entscheide, wird es wegen des Regisseurs sein. Ich bin im Moment sehr auf Regisseure ausgerichtet." Schnell weist sie darauf hin, daß sie trotzdem pünktlich ihren Studienabschluß machen wird. All die Bonuspunkte aus den Fortgeschrittenenkursen eben. "Ich wünschte, ich könnte für immer an der Uni bleiben und schauspielern. Ich mag die Kombination wirklich."
Zwei Tage nach unserer Unterhaltung beginnt Natalie mit den Proben für die vom Joseph Papp Public Theater verantwortete Shakespeare in the Park-Produktion von Anton Tschechows Die Möwe. Es ist die Aufführung mit dem größten Staraufgebot im Central Park seit Jahren: Meryl Streep, Kevin Kline, Marcia Gay Harden, and Philip Seymour Hoffman haben alle Rollen. Mike Nichols führt Regie, und die Textbearbeitung ist von Tom Stoppard. Natalie spielt die Rolle der Nina, einer jungen Schauspielerin mit einer schmutzigen Affaire mit einem älteren Mann. Sie nimmt ihre Rolle sehr ernst. Und auf eine sehr fleißige Art. "Letztes Jahr habe ich einen Kurs bei einer Professorin im Slawischen Seminar der Uni belegt", erklärt sie. "Sie hat mich bei den Vorbereitungen für eine vollständige Vorstellung meiner Rolle in der ersten von Mike organisierten Vorbesprechung unterstützt." Als sie merkte, daß das Projekt in Gang kam, begann sie mit ihrer Professorin eigene Studien über das Stück. "Ich habe alles über Tschechows andere Dramen gelesen und ich versuche, meine Rolle, Nina, auch anhand seiner Kurzgeschichten noch besser zu verstehen." Wenn man Natalie dabei zuhört, wie sie Nina beschreibt, versteht man, wie ihre Gedankengänge funktionieren und wie sehr durchdacht und tief ihre Leidenschaft für das Handwerk ist, in dem sie instinktiv so gut ist.
"Nina ist wirklich kompliziert", beginnt sie langsam, "Bei oberflächlicher Betrachtung scheint sie dieses unschuldige Naivchen zu sein, das so fasziniert ist von dem Glanz des Künstlerlebens. Als sie also eine Affaire mit Trigorin hat, einem älteren Mann, der von Kevin Kline gespielten Figur, denkt man zunächst, oh, er nutzt sie aus. Man denkt, er hätte nichts besseres zu tun, als ihr Leben zu zerstören und sie wäre nichts weiter als eine Möwe, die jemand zum Zeitvertreib geschossen hat." Sie macht eine Pause, um dieses Hauptmotiv des Stückes wirken zu lassen. "Aber da sind überall diese kleinen Hinweise im Text", sagt sie und grinst schelmisch. "Und ich verstehe es so, daß sie in Wirklichkeit ihn verfolgt. Sie ist nicht die Möwe, denn am Ende hat er es nicht geschafft, sie zugrunde zu richten. Sie ist berechnend. Und sie ist nicht ganz so unschuldig, wie man meint." Aber selbstverständlich. Trotzdem ist es die besondere Weise, in der sie die Unschuld auf Abruf bereit hält, die einen Teil ihrer Wirkung ausmacht, und sehr wahrscheinlich der Grund, warum Natalie Portmans Rum Bestand haben wird.
(Übersetzung der von Je Laime gefertigten und auf dem NPMB geposteten http://www.hal-9000.net/wwwboard/messag ... 46523.html aus NYLON, August 2001).
--
Aleph,
der keine Einwände gegen eine Weiterverwendung der Übersetzung hat, solange diese unverändert bleibt.