DER SPIEGEL 37/2003 - 08. September 2003
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Stars
"Ich wäre gern ein Bösewicht"
Der US-Schauspieler Harrison Ford, 61, über seine Karriere vom Schreiner zum Action-Helden, die Fortsetzung der "Indiana Jones"-Reihe und seine neue Krimikomödie "Hollywood Cops"
SPIEGEL: Mr. Ford, wäre es heute noch möglich, dass ein Schreiner einen Vorsprechtermin für eine Hauptrolle in einer Hollywood-Produktion erhält - so wie Sie 1977 für die Rolle des Weltraum-Cowboys Han Solo in "Star Wars"?
Ford: Ich habe den Vorsprechtermin nicht bekommen, weil ich der Schreiner des Regisseurs war.
SPIEGEL: Es geht die Legende, Sie seien in George Lucas' Büro gekommen, um die Türen abzuschleifen - und als Sie wieder gingen, waren Sie als Han Solo engagiert.
Ford: Um genau zu sein, musste ich auch nicht vorsprechen. Ich wurde gefragt, ob ich beim Casting helfen könne. Sie baten mich, einen Part mit den anderen Schauspielern zu lesen, die sich für die Rolle bewarben - ohne zu erwähnen, dass auch ich dafür in Frage kommen könnte. Natürlich war letztlich viel Glück dabei, aber das gehört im Leben dazu.
SPIEGEL: War Ihnen schon bei den Dreharbeiten klar, dass Sie mit "Star Wars" Filmgeschichte schreiben würden?
Ford: Ich habe vermutet, dass der Film Erfolg haben könnte, weil er einen so märchenhaften Charme hat. Der weise alte Krieger, die Prinzessin, das "smart ass", also meine Rolle - am Ende ist es egal, ob es eine Geschichte von den Brüdern Grimm ist oder ein Science-Fiction-Abenteuer. Aber ich hatte natürlich keine Ahnung, wie stark die visuellen Effekte wirken würden. Die habe ich erst gesehen, als der Film fertig war.
SPIEGEL: Während der Dreharbeiten war also Ihre Vorstellungskraft gefordert?
Ford: Das ist sie immer. Wenn man vor einem Blue Screen steht, auf den später projiziert wird, wie der Schurke mit der Laserkanone in Lichtgeschwindigkeit auf dich zurast: Das ist nicht viel anders, als wenn man im Auto sitzt, die Herzensdame daneben, und so tut, als betrachtete man die Dame oder die idyllische Landschaft - während man tatsächlich in eine Kamera guckt und Scheinwerfer sieht und Techniker, die sich die Fingernägel schneiden, in der Nase bohren oder Zeitung lesen. Es geht immer um Einbildung.
SPIEGEL: Die Umgebung beeinflusst Sie nicht?
Ford: Doch, natürlich. Deshalb bin ich auch kein Freund von Proben in einem Probenraum. Ich muss wissen, wie ein Satz oder eine Geste in der jeweiligen Umgebung wirkt. Jeder Raum verändert die Wirkung. Auch dieses Gespräch würde hier vermutlich anders ablaufen, wenn wir nicht in einem Hotelzimmer säßen, sondern in einem Fitnessstudio. Die Zuschauer wollen sich wiederfinden in einer Situation. Darum geht es im Film, um Empathie.
SPIEGEL: Sie haben mit Regisseuren wie Lucas, Steven Spielberg oder Francis Ford Coppola gedreht, die in den siebziger Jahren mit vielen Kinokonventionen brachen und die Studios herausforderten. Was ist von dieser Rebellion geblieben?
Ford: Ich werde leicht ungehalten, wenn ich von dieser Aufteilung in "unabhängige Filme" und "Studiofilme" höre. Jeder will Filme machen, die das Publikum erreichen. Wenn heute ein Regisseur mit einem unabhängigen Film Erfolg hat, dreht er als Nächstes den zweiten Teil von "Natürlich Blond". Man ist kein besserer Mensch, wenn man sich nur um Independent-Produktionen kümmert. Man will den Leuten Geschichten erzählen und sie so berühren, dass sie sich eine Kinokarte kaufen und die Investitionen der Filmemacher zurückzahlen.
SPIEGEL: Ihr neuer Film "Hollywood Cops" macht sich über die Filmindustrie lustig.
Ford: "Hollywood Cops" macht sich über das Leben lustig. Der Film zeigt alle möglichen Schwierigkeiten, in die man im Leben geraten kann. Der Polizeiveteran Joe Gavilan, den ich spiele, hat finanzielle Probleme, er ist dreimal geschieden, muss Alimente zahlen, wird von den eigenen Leuten verfolgt, seine Freundin war zuvor mit einem dieser internen Ermittler zusammen. Ein Teil des Spaßes besteht darin, ihm so viele Steine wie nur möglich in den Weg zu legen und ihm dabei zuzusehen, wie er da herausfindet.
SPIEGEL: Ihre Figur hat für die Schauspielerei nicht viel übrig. Als ein junger Polizist gesteht, er wolle Schauspieler werden, fragt Gavilan, ob er schwul sei.
Ford: Ein guter Witz, aber keine Sichtweise, die ich teile. Es geht nur darum, die Figur lebendig werden zu lassen.
SPIEGEL: Verglichen mit Ihrem früheren Job als Schreiner: Ist Schauspielerei Handwerk oder Kunst?
Ford: Beides ist ein Handwerk. Vieles von dem, was Kunst ausmacht, beruht auf handwerklichen Fähigkeiten. Ein Maler muss wissen, wie er Farben mischen kann, und ein Künstler wie Julian Schnabel weiß eben, wie er Scherben aufkleben muss. Es gibt vielleicht auch beim Filmemachen gelegentlich künstlerische Momente, aber die sind das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengung vieler Leute. Meine eigene Arbeit sehe ich jedoch als ein reines Handwerk an.
SPIEGEL: Sie gelten als einer der wenigen Stars, die für sich nicht möglichst viele, sondern möglichst wenig Dialogsätze fordern. Sind Sie faul?
Ford: Nein, ich stelle nur oft fest, dass Drehbücher entschlackt werden müssen. Wenn die Autoren an ihrem Computer sitzen, geht es oft mit ihnen durch wie bei einem Komponisten, der an seinem Keyboard in einen Schaffensrausch gerät. Ich habe großen Respekt vor einem Autor, der die Sprache so gut beherrscht, dass er für eine Figur genau den richtigen Ton trifft. Aber manchmal ist es ökonomischer, den Körper sprechen zu lassen.
SPIEGEL: Ökonomie als Qualitätskriterium?
Ford: Unbedingt. Beim Film muss man schnell zum Punkt kommen. Für jede Szene muss es einen wirklich guten Grund geben, und dieser Grund kann nur darin bestehen, die Geschichte voranzutreiben. Dem muss sich, bei aller Liebe zur Sprache, der Autor unterordnen.
SPIEGEL: Auch der Star?
Ford: Auch der Star. Wenn der anfängt, sich breit zu machen, besteht die Gefahr, dass der Film auf der Stelle tritt. Deshalb nehme ich mich nicht so wichtig. Wenn sich die Ereignisse überschlagen, besteht natürlich oft die Gefahr, dass die Zuschauer das Verhalten meiner Figur nicht mehr verstehen können. Dann muss ich für sie kämpfen. Aber ich bin immer bereit, Abstriche zu machen, wenn es dem Ganzen dient.
SPIEGEL: Sie haben aus dem Jedermann einen Action-Helden gemacht. Erklärt das Ihren Erfolg?
Ford: Ich glaube, ich spiele keine Helden - und schon gar keine Action-Helden. Ich spiele einen ganz normalen Kerl, der sich großen Herausforderungen stellen muss und das so gut wie möglich zu machen versucht.
SPIEGEL: In vielen Ihrer Filme spielen Sie einen Amerikaner, der im Ausland in Schwierigkeiten gerät. Ist das ein politisches Statement?
Ford: Aber ich gerate doch immer in Schwierigkeiten, egal wo! Natürlich macht es eine Figur interessanter, wenn sie sich auf ungewohntem Terrain bewegt, wenn sie nicht in ihrem Element ist. Weil sie die Menschen und ihre Kultur nicht kennt, eckt sie laufend an und stößt auf Hindernisse. Ich habe aber nie einen Film gemacht, der fremdenfeindlich ist.
SPIEGEL: Aber die Fremde erscheint oft als feindselig. Fühlen Sie sich wohl in der Rolle des Amerikaners, der rund um den Erdball für Aufruhr sorgt?
Ford: Sehr wohl, denn ich mache keine Filme, die zeigen wollen, dass die amerikanische Kultur dem Rest der Welt überlegen ist. Im Gegenteil, ein Film wie "Mosquito Coast", in dem ich einen amerikanischen Erfinder im Urwald gespielt habe, zeigt ja gerade, wie gefährlich es ist, wenn jemand versucht, eine andere Kultur zu zivilisieren - selbst mit den besten Absichten.
SPIEGEL: In der Tom-Clancy-Verfilmung "Die Stunde der Patrioten" von 1992 gibt es eine gespenstische Sequenz, in der CIA-Leute auf einem Satellitenbild live mitverfolgen, wie US-Spezialeinheiten in Nordafrika ein Terroristencamp ausräuchern. Ist das für Sie ein Inbild der modernen Kriegsführung?
Ford: Jack Ryan, meine Figur in dem Film, ist erst irritiert, dann erschüttert, als er diese abstrakten Bilder vom Sterben anderer Menschen sieht, während um ihn herum Begeisterung ausbricht. Es war mir sehr wichtig zu zeigen, dass es ihn abstößt, aus dieser Distanz, gleichsam klinisch sauber einem Blutbad beizuwohnen - obwohl er ein überzeugter CIA-Mann ist. Diese Sequenz hat Tom Clancy in Rage versetzt.
SPIEGEL: Warum?
Ford: Weil er seiner Figur diese emotionale und moralische Komplexität nie zugebilligt hätte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Jack Ryan in dem Moment gerufen: "Yeah, endlich haben wir diese Bastarde!" Für solche Sätze ist die Wirklichkeit aber viel zu kompliziert. Gewalt hat einen hohen Preis - auch für den Täter. Die Traumata, an denen viele Soldaten oder Polizisten leiden, die getötet haben, zeigen, dass diese Erfahrung an kaum jemandem spurlos vorübergeht - außer an Psychopathen.
SPIEGEL: Würden Sie gern mal einen richtigen Bösewicht spielen?
Ford: Sicher, aber in amerikanischen Filmen ist der Bösewicht niemals die Hauptfigur, sondern nur der Gegenspieler des Helden. Also bekomme ich solche Rollen erst gar nicht angeboten. Obwohl das natürlich Spaß machen würde, weil man als Bösewicht die Szenerie ordentlich aufmischen kann. Aber als ganz normaler Held kann ich nicht so über die Stränge schlagen.
SPIEGEL: Nächstes Jahr werden Sie mit Steven Spielberg den lang erwarteten vierten "Indiana Jones"-Film drehen. Sind Sie am Drehbuch beteiligt?
Ford: Noch nicht. Ich habe das Projekt ins Rollen gebracht, und nun warte ich mal ab. Wenn das Buch fertig ist, werde ich es lesen. Und womöglich feststellen, dass es noch nicht fertig ist.
SPIEGEL: Werden Sie Konzessionen an Ihr Alter machen?
Ford: Wieso Konzessionen? Indiana Jones ist einfach älter geworden und verhält sich nicht mehr wie 1981, als er zum ersten Mal auf der Leinwand auftauchte. Das ist alles.
SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, eines Tages den Vater des Helden zu spielen - so wie Sean Connery im letzten "Indiana Jones"-Abenteuer?
Ford: Klar. Connery ist nur zwölf Jahre älter als ich - und ging als mein Vater durch. Ist alles eine Frage der Schauspielerei. Ich habe kein Problem mit meinem Alter.
SPIEGEL: In "Jäger des verlorenen Schatzes", dem ersten Indiana-Jones-Spektakel, sagen Sie: "Es kommt nicht aufs Alter an, sondern auf den Kilometerstand."
Ford: Kein schlechter Satz. Entscheidend ist, wie lange die Maschine durchhält. Und meine Maschine ist noch ziemlich gut in Schuss.
INTERVIEW: LARS-OLAV BEIER, MARTIN WOLF